Novembergedanken – Piemont 2021

Piemont. November 2021. Kalt und grau. Heute. Bisher wurden wir reich beschenkt – mit einem goldenen Herbst. Schönste Farben, helles Licht, Sonnenschein mit ihren warmen Strahlen.
Nun geht der Herbst langsam in den November über. Grau und wolkenverhangen liegen die Berge und Wiesen bedeckt. Die Wirklichkeit wirkt verschleiert. Der Übergang in andere Welten scheint dünnhäutig. Das Totenreich macht sich bemerkbar und ist präsent anwesend.
Die bunt, schon fast braun verwelkten Blätter, die den Boden bedecken erzählen davon. Die Ernte wurde längst eingefahren, die Natur zieht sich nun zurück. Nach innen, tief hinein ins Wurzelwerk, unter der Erde. Hier legt sich nun die Lebensenergie schlafen und weicht vor der beginnenden Kälte. Und auch wir kuscheln uns in die warme Stube, geniessen das knisternd flüsterne Feuer im Kamin. Das Leben wird einfach, reduziert auf geringe Aktivitäten im Aussen. Das Leben findet innerhalb der vier Wände statt. Wir nutzen die Gelegenheit und machen Bestandsaufnahme. Wir räumen und misten die Dinge, die uns zu viel geworden sind. Wir lassen los. Es bleibt, was uns lieb und wichtig ist.

Ich beschäftige mich mit ‚wissenschaftlichem Arbeiten‘ und ‚Statistik‘. Ein online Kurs über die Zürcher Hochschule für meine Berufsanerkennung in der Schweiz. Im Januar findet dazu eine Prüfung statt.
So nutze ich die dunklen Tage und bilde mich fort. Ich tauche ein in eine mir fremde Welt aus Zahlen und Werten, aus messbaren Variablen und Standardabweichungen. Konfidenzintervalle und Signifikanz. Formeln zum Berechnen des Mittelwerts und des Standardfehlers. Ich gebe zu, meine mir vertraute Welt ist das nicht und doch hat sie eine gewisse Faszination. Sie zieht mich in ihren Bann. Ich tauche ein und erfahre und erlebe eine neue Welt.

Mein treuer kleiner Dacia – meinen Freiläufer, wie ich ihn neuerdings nenne, läuft gerade weder frei noch überhaupt. Er steht. Und es ist dem Heldentum Steffens zuzuschreiben, dass er auch das noch tut. Denn hätte Steffen nicht seine Bereitschaft gegeben, sich dem kleinen Freiläufer zuzuwenden, wäre sein Schicksal schon längst auf dem Schrottplatz entschieden.
So kümmert sich Steffen mit einer Liebe zum Detail und schmutzig schwarzen Händen um den Kleinen. Ich drücke alle Daumen, dass er uns noch eine Weile erhalten bleibt. Ich fahre währendessen Skoda – den Kombi, mit Platz für eine Matratze und somit schon fast ein Minivan. Sollte unser Freiläufer uns je verlassen, so liebäugel ich folgend mit einem Dacia Dokker, den ich zum Minivan umfunktionieren kann.

So ist das Leben hier gerade sehr beschaulich und ruhig geworden. Nach einem turbulent arbeitsreichen Sommer sehr erholsam. Ruhe und Stille zum Durchatmen, zum Ausatmen, Kastanien rösten und Chaga-Chai trinken. Sich besinnen. Sich rück-besinnen auf das, was wesentlich ist. Auf das, was größer und übergeordneter wirkt. Hinein entspannen in eine Natur, die zu jeder Jahreszeit immer wieder am besten weiß, was zu tun ist.

Verliere ich mich manchmal im Weltengeschehen oder auch im eigenen kleinen Erleben, so lädt und lockt mich die Natur stets zu sich. In ihre Betrachtung vertieft verliere ich mich und finde doch noch mehr zu mir und meinem Wesenskern.

So ist das hier im November und während die letzten Farben weichen erreicht das Weiß schon die umliegenden Berggipfel. Ja, es wird Zeit.

Ich igel mich ein und geniesse die trostlos winterbringende Stimmung. Um mich eine Kuscheldecke geschlungen, in meiner Hand die dampfende Tasse Tee. Mit warmen Herzen gedenke ich meiner und all unserer Ahnen und Ahninnen.
Sie, die vor uns hier wandelten und uns diese Welt, in der wir nun leben einst übergaben, sie sind hier. Ich sehe und spüre ihre Fußspuren. Das Band zwischen uns ist nie so nah und deutlich spürbar wie im November. Ich verneige mich vor all den einzelnen und auch gemeinschaftlich-kollektiven Lebensgeschichten.
Ich weiß, gäbe es euch nicht, so gäbe es auch mich nicht und noch viel mehr wäre zu entbehren. und so schreiben wir Geschichten, Tag um Tag, Jahr um Jahr, Leben um Leben. Im November ist das Diesseits nah und es lohnt auf die wohlgemeinten Ratschläge von da ‚drüben‘ zu hören. Wissen all die vor uns Gegangenen doch ein wenig mehr vom Leben und Sterben als wir. Blicken sie doch hinter den großen Schleier, den wir, gerade in heutigen Tagen mehr denn je, wie paralysiert anzustarren scheinen.
Sie reichen uns von dort drüben die Hand, sie füllen unsere Herzen mit Sinnhaftigkeit, sie liebkosen unser Sein und schauen wohlwollend auf uns und unser Tun. Auch mahnen sie uns sanft, uns die Zeit für das wirklich Wesentliche jetzt zu erlauben. Nichts mehr aufschieben. Wir leben jetzt. Immer jetzt. Wir setzen stets jetzt die Weichen für später und für Morgen. Wir haben stets die Wahl, kurz innezuhalten und uns zu fragen, was jetzt? Für was entscheide ich mich jetzt?

Das ist der November und alles, was er mit sich bringt. Heißen wir ihn willkommen. Auch in diesem Jahr. Und jetzt, wo die Schleier so dünn sind und andere Welten so nah, da kann es auch passieren, dass ein wenig der Magie der Zauberwelten mit ihren wilden Zauberwesen auf uns einwirkt. Alles, was Du für Fantasie hälst, hat da sein Zu Hause und gelangt von dort durch die Novembernebelschleier zu uns. Dringt ein in unsere Atmosphäre, all das Unsichtbare, all das Fantastische, all die Schatten, Trolle, Elfen, Drachen und sonstige Fabelwesen. Willst Du Dich gut mit ihnen stellen, heiße auch sie willkommen. Stell ihnen etwas zu essen in den Garten oder auf die Fensterbank. Ein Teelicht im Fenster hilft den verlorenen Seelen Orientierung zu finden. Räuchere Deinen Wohnbereich, reinige ihn von negativer Energie. Es darf gehen, was zuviel ist und eingeladen werden, was und wen es jetzt braucht. Sprich mit dem Geist eines jeden Ding. Jetzt im November, mehr denn je. Fürchte Dich nicht. Nimm die Schatten in Deine Arme. Das Licht ist da und wird im Frühjahr wieder den Weg zurück finden. Ja, dessen bin ich mir sicher. Komm gut durch die dunkle Jahreszeit!


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